Planet studiert

Beiträge zum Festival

Die folgenden Beiträge stammen von Teilnehmer:innen des Germanistikseminars „Climate Fiction“ (WS 2021) an der Humboldt Universität Berlin. Sie haben das Festival „Planet schreibt zurück!“ besucht und sich mit eigenen Produktionen beteiligt. Wir danken den Studierenden und der Seminarleiterin Dr. Denise Reimann für die inspirierende Kooperation.

Beitrag 1

Die Klimakrise in der Literatur

von Alina Kuhlmann

Warum sollten wir über die Klimakrise schreiben? Die Klimakrise, die wir in der Realität schon nicht ertragen. Warum sollten wir Geschichten darüber lesen? Warum sollten Autor:innen darüber schreiben, wenn sie sich doch in Parallelwelten flüchten könnten?

Im Rahmen des Climate Cultures Festival „Planet schreibt zurück!“ habe ich mir diese Fragen gestellt. Um Antworten zu finden, habe ich mir die Gegenwartsliteratur und ihren Umgang mit der Klimakrise angesehen, meinen eigenen Umgang mit der Krise reflektiert und ziehe nun einen Lösungsvorschlag in Betracht, wie die Literatur zu einer klimagerechten Welt beitragen könnte.

Warum, frage ich mich, wird die Natur nicht intensiver in die Geschichten eingebunden?

Ich las kürzlich den Horrorroman „Es“ von Stephen King, darin wird der Mensch allerdings nicht durch die kommende Hitzewelle in Todesangst versetzt, sondern durch einen Clown. Einen Clown? Soll das ein schlechter Scherz sein? Und auch im Thriller "AchtNacht" von Sebastian Fitzek werden Menschen wegen eines Spiels in einen Wettlauf um ihr Leben verwickelt

- Naturkatastrophen finden keinen Platz in diesen Geschichten. Hier werden die Tiefen der menschlichen Psyche ausgelotet, aber das Stigma einer psychischen Erkrankung wird nicht reflektiert, sondern durch mordlustige und schadenfrohe Antagonist:innen in Szene gesetzt.

Aber ich fühle mich in Sicherheit, als hätten meine Eltern eine Vollkasko-Versicherung für die Gefahren des Klimawandels abgeschlossen.

Warum, frage ich mich, wird die Natur nicht intensiver in die Geschichten eingebunden? Weil Hitzewellen und Überflutungen zu unwahrscheinlich sind?

Die Wälder und Häuser in Kalifornien brennen, Städte werden überflutet - im Jahr 2005 die Stadt New Orleans, 2012 New York, dann wieder 2020 und spätestens 2021 haben wir kapiert, dass das alles nicht in der Zukunft und auch nicht im Ausland spielt, das Ahrtal-Hochwasser hat mindestens 133 Tote gefordert. Aber ich fühle mich in Sicherheit, als hätten meine Eltern eine Vollkasko-Versicherung für die Gefahren des Klimawandels abgeschlossen.

Die kapitalistische Politik gaukelt mir vor, dass Geld eine Lösung sei. Ich kann mir Schönheit, Erfolg und Liebe kaufen, das ist die Therapie gegen meine Angst. Meine Spenden an Greenpeace reichen allerdings nicht mehr aus. Wir müssen kämpfen und was mache ich? Ich flüchte in Parallelwelten. Virtuelle Räume, die meinen Weltschmerz betäuben. Aber in den Tagesnachrichten ist der für uns alle lebensbedrohliche Klimawandel längst präsent.

Kann Imagination ein Teil der Lösung sein? Gibt es eine Literatur, die keine Wirklichkeitsflucht darstellt?

Der indisch-amerikanische Autor Amitav Ghosh hat in einem bekannten Buch kritisiert, dass ernsthafte Literatur die Natur- und Klimakatastrophen umgeht, weil sie offensichtlich zu unwahrscheinlich erscheinen:

„Es scheint, als werde das Thema Klimawandel von der literarischen Imagination als irgendwie geistesverwandt mit Außerirdischen oder interplanetarischen Reisen empfunden.“ 1

Dagegen hat uns auf dem Climate Cultures Festival „Planet schreibt zurück!“ die kanadische Autorin Catherine Bush belehrt, dass nicht nur Science Fiction oder Zukunftsromane das Thema angehen. Ihre Neuerscheinung "Blaze Island" gilt als Beispiel für gute Klimaliteratur. Es ist ein Gegenwartsroman über einen gescheiterten Klimaforscher und seine Tochter auf einer subarktischen Insel.

Die Autorin las auf ihrem ersten Panel eine Eis-Szene, in dem ein Stück Grönlandeis verspeist wird, der Mensch wird fast selbst zum Eisberg und die Autorin sprach anschließend von der „Power of Imagination“.

Kann Imagination ein Teil der Lösung sein? Gibt es eine Literatur, die keine Wirklichkeitsflucht darstellt?

Wir sind alle keine literarischen Held:innen und die Klimakrise ist nicht der neue Thriller von Sebastian Fitzek.

Einen Eisberg habe ich noch nicht in der Wirklichkeit gesehen. Aber wenn ich meine Augen schließe, dann sehe ich nicht Nichts. Ich kann mir das schmelzende Eis vorstellen. Und wenn ich Fotos und Videos sehe, werden fremde Bilder zu eigenen Gedanken.

„[E]s braucht hundert Jahre, bis ein Fußabdruck in der Antarktis verschwindet.“ 2, schreibt der Autor Ilija Trojanow in seinem Roman „Eistau“. Von solchen Fußabdrücken hat die moderne Welt mit der Industrialisierung und ihrer CO2-Kultur viele hinterlassen. Aber wirst du in diese Fußstapfen treten oder wollen wir es anders, besser machen?

Wir sind alle keine literarischen Held:innen und die Klimakrise ist nicht der neue Thriller von Sebastian Fitzek. Sie ist unsere Realität. Wir haben nur gemeinsam eine Chance auf eine klimapositive Welt. Autor:innen sollten die „Power of Imagination“ wirklich ausnutzen und uns eine andere Welt vorstellen lassen.

Ist es eine Utopie? Ist der Klimawandel so oder so unser Ende? Wir sind die Erben eines instabilen Klimas und wenn wir handeln, können wir Held:innen der Geschichte werden. Die Literatur brauchen wir als dauernde Erinnerung an unsere eine reale Welt.

  1. Amitav Ghosh: Die große Verblendung, der Klimawandel als das Undenkbare. Aus dem Englischen von Yvonne Badal, Blessing 2017, S.17
  2. Ilija Trojanow: Eistau. Frankfurt a. M., Fischer 2019, S. 76

Beitrag 2

Über meine (un)heilbare ‚Krankheit’

von Nico Werner

Krank. Kämpfend um das Überleben, gezeichnet von einer unverwechselbaren Zeit, die mich und mein Aussehen prägte, liege ich gegenwärtig nur noch zusammengezogen da. Gebündelt habe ich meine letzte Kraft im Leiden meines Seins. Ich bin nicht mehr groß, kraftvoll, still und bewundernswert. Vielmehr fühle ich mich schwach und wirke auf andere verkümmert und vergänglich. Die Zunahme meines Leidens steigert sich von Woche zu Woche, wächst von Monat zu Monat, verschlimmert sich von Jahr zu ...

Es gibt Phasen, in denen es mir besser ergeht. Sie sind in den letzten Jahren jedoch meist von kurzer Dauer und erstrecken sich nur noch über wenige Monate. Sie lassen Hoffnungen bei denjenigen entstehen, die es gut mit mir meinen, mich noch nicht aufgegeben haben. Doch lange halten diese Hoffnungen nicht. Meist nur so lange, bis das mich betreffende Leid wieder mit voller Kraft zurückschlägt. Während ihr es lediglich nur beobachtet, muss ich es besonders in den Sommermonaten unausweichlich ertragen.

Einst schmückte ich viele Bilder von euch, ihr die mir oft nur kurze Aufmerksamkeit entgegenbrachtet. Ich wurde als Fotomotiv für Postkarten genutzt, als Hauptobjekt oder als Hintergrund für Familienfotos. Ihr probiertet mich auch zu zeichnen und meine persönlichen Charakteristika mit Ölfarben abzubilden. Ihr verzeichnetet mich auf Karten, hantiertet mit Messwerkzeugen und benanntet Straßen mit Bezug auf mich. Das alles tatet ihr über unzählbare Jahrzehnte ohne euch letztendlich wirklich um mich zu kümmern. Ich war immer präsent — bei Tag und Nacht. Still und doch voller Leben. Ihr schätztet meine Schönheit oft aber nur für kurze Zeit, bis ihr mich im Wissen meiner Existenz wieder größtenteils ignoriertet. Nun bin ich offensichtlich krank geworden. Bereits angekommen an meinen letzten Lebenstagen? Bald nicht mehr ein Teil von euch und meiner Umgebung?

Vor einigen Jahren und Jahrzehnten war dieser Gedanke noch unvorstellbar, wirkte die Dauer meines zukünftigen Daseins, auch aufgrund meiner bisherigen Lebenszeit, auf relative Unendlichkeit festgeschrieben. So wird jedoch der Gedanke meiner Vergänglichkeit in den letzten Jahren, sowohl für mich als auch für euch, zur bitteren Realität. Das mögliche und wohl unaufhaltbare Ableben einer jahrhundertelangen Konstante füllt zunehmend Gespräche. Ich kann sie hören, wenn ihr mich besucht und wieder einmal für kurze Zeitabschnitte mit den Armen wedelt, traurige Gesichter macht aber dann wieder einzeln mit euren Autos den Parkplatz verlasst, ohne wirklich etwas gegen meine Krankheit unternommen zu haben.

Von Jahr zu Jahr rücke ich mehr in den Vordergrund, habe mich mittlerweile ungewollt bemerkbar gemacht. Schon längst lasse ich mich nicht mehr aus allen Perspektiven betrachten und fotografieren, ohne dass sich die Folgen meiner Krankheit offenbaren. Die Zeit, in der ich nur ein stiller Begleiter war, ist beendet. Ich möchte euch um Hilfe bitten. Unternehmt doch etwas oder wollt ihr zusehen, wie ich sterbe? Bin ich euch denn wirklich so wenig wert?

Vielleicht leuchtet euch nicht allen ein, wie ihr mir helfen könnt. Doch dennoch seid ihr es, die über die Behandlung meiner Krankheit entscheidet. Ich weiß nicht, wann mein endgültiges Ende ansteht, ich von euch gehe, nur noch in euren Erinnerungen und auf euren Fotos weiterlebe. Aber ihr könnt mich wieder auferstehen lassen. Zurück zu alten Kräften finden lassen. Zu meiner einstigen Schönheit. Lange genug haben mich die meisten von euch nur für kurze Zeit geschätzt, mich dann aber mit Ignoranz gestraft und nichts unternommen. Ich kann nicht mehr atmen. Das für mich so lebenswichtige Atmen. Auf meine Lunge drückt die Kraft der Krankheit, die wohl zu meinem Ende führen wird. Ich bin krank, aber nicht unheilbar!

Erinnert ihr euch noch? Einst war ich ein regelmäßiges Anflugziel für Schwäne, die in ihrer slawischen Übersetzung „colpa“ dem Ort, der sich vor mehreren Jahrhunderten um meinen Verwandten und mich ansiedelte, einen abgewandelten Namen gaben. Der Ortsname hingegen wurde Namensgeber für meinen großen Bruder und für mich. Ich bin also ein Teil von euch. Würde ich weichen, so weicht auch ein Stück Leben von euch! Wollt ihr das wirklich? Ich bin der Veränderung ausgesetzt, kann mir selbst nicht helfen. Ihr als Gelegenheitsbewundernde seid es, die anfangen müsst, eure Lebensweise zu ändern und meine Lebensgrundlage mehr zu schätzen und zu schützen.

Schon längst kann ich mich nicht mehr vom für mich so überlebenswichtigen Grundwasser nähren. Es ist bereits aus verschiedenen Tiefen gewichen, wird zunehmend weniger, aber immer weiter durch euch entnommen. Ihr entnehmt es, um eure Felder und Gärten zu bewässern, sodass ihr eure Nahrungsquellen erhaltet, während dadurch meine Nahrung schwindet. Ihr entnehmt es zusätzlich für eines eurer großartigen Großprojekte. Ihr wollt mir einen künstlichen Verwandten schenken, dem ihr euch widmen wollt. An ihm wollt ihr zukünftig euren Urlaub verbringen. Mit großen Booten plant ihr Touristenfahrten, bei denen ihr euch selbst loben werdet, wie ihr eine ehemalige Braunkohleregion verändert habt. Vergesst dabei aber nicht zu erwähnen, dass ich dafür sterben musste, genau wie die Landschaft, die sich vorher an dieser Stelle erstreckte. Braucht ihr meinen künstlichen Verwandten? Habt ihr euch etwa an meiner Schönheit satt gesehen? Bin ich euch nichts mehr wert?

Silberreiher

Ihr kühlt mit meiner Nahrung eure Industrieanlagen, die euch immer Fortschritt vorspielten, sich aber zunehmend als ein Fortschritt in die Richtung der eigenen Zerstörung entlarven. Entnehmt meine Lieblingsnahrung ruhig weiter für eure braunkohlefördernden Anlagen, die mein geliebtes Grundwasser benötigen, um gekühlt zu werden.
Macht ruhig so weiter! Meine Verwandten und ich werden dadurch zunehmend kleiner, werden sterben. Ihr entzieht uns unsere Lebensgrundlage! Doch solange ihr nicht sterben werdet, ist euch eure Umgebung doch gleichgültig.

Eure Ignoranz verklebt euch die Augen. Ihr wollt nicht sehen, dass seit einiger Zeit meine Lebensgrenze nicht mehr von kleinen Angelstellen gezeichnet ist, an denen ihr einst gesessen habt und euch in unzähligen Stunden meiner Schönheit widmetet. Ihr habt in mir gebadet und euch von meinen Freunden ernährt. Wenn eure Bäuche voll waren, habt ihr sie euren Katzen hingeworfen, während ich meine Freunde verlor, um sie trauerte. Die Ränder meiner Lebensbegrenzung werden zunehmend breiter. Auf ihnen wachsen vermehrt Gräser, Sträucher und Bäume, während ich mich ungewollt zurückziehen muss, um zu überleben. Während meines Rückzuges bleiben die verbreiterten Ränder noch einige Zeit lang feucht, waren sie doch jahrhundertelange Nässe gewohnt. Bevor sie austrocknen, wachsen die besagten Pflanzen, die es wissen, sich den feuchten Boden zu Nutze zu machen. Sie benötigen das Wasser ebenso als Lebensgrundlage, um zu überleben. Und ich? Wer kümmert sich um mein Überleben?

Ich bin hilflos und muss mich immer weiter zurückziehen. Doch ich fliehe nicht, möchte da bleiben nur leider ist das ohne eure Hilfe nicht möglich. Ich bin doch schon länger an diesem Platz als alles andere um mich herum. Ein Abschied fällt mir schwer. Mit mir gehen meine Freunde, für die ich nicht nur ein hübscher Begleiter war, sondern für die ich selbst eine Lebensgrundlage war. Wie gern habe ich mich bewegt, wenn ein Karpfen meine Oberfläche mit seinen Flossen berührte und das Wasser in einem Moment in Bewegung brachte, in dem ich so ruhig ich konnte da lag. Ich bot Enten und Wildgänsen Schutz für ihre Nachkömmlinge, war ein gern besuchter Pausenort für meine liebsten Besucher - Schwäne, die mich so nachhaltig prägten. Sie alle sind in den letzten Jahren, in denen sich meine Krankheit zunehmend verschlimmert hat, weniger geworden. Auch sie wollten nicht gehen, doch sie mussten, um nicht auch dem Ende entgegenzugehen, was einige von ihnen, die bei mir bleiben wollten, taten.

Neuerdings besuchen mich andere Tiere, die sich den neuen Begebenheiten bedienen und andere Naturerscheinungen produzieren, die für diesen Ort in der Vergangenheit doch eher selten zu beobachten waren. Es sind schöne Grau- und Silberreiher, Tiere mit einer Größe von bis zu einem Meter, die hauptsächlich im flachen Wasser auf Beutejagd gehen. Sie stehen heute inmitten meines Körpers, um sich zu nähren. Vor wenigen Jahren war dies noch unvorstellbar. Sie wären in mir ertrunken, so tief war ich. Über mich kreisen zusätzlich vermehrt seltene Fischadler, die pfeilschnell, mit einer unbeschreiblichen Präzision ihre Nahrung aus meinem Körper greifen, während sich meine Freunde sich nicht mehr in die rettende Tiefe flüchten können wie noch vor wenigen Jahren. Zu meinem großen Bruder habe ich keine Verbindung mehr, die das Leid möglicherweise erträglicher machen würde. So liege ich da, getrennt von meinem Verwandten, dem zunehmend das gleiche Leid ergeht — vereint in der Sache aber dennoch so schmerzlich getrennt.

Längst werde ich nicht mehr zureichend von oben genährt. Der ohnehin geringe Niederschlag in meiner Region wird von Jahr zu Jahr in den Monaten, in denen es mir besonders schlecht ergeht, weniger. Um mich herum wird es zunehmend wärmer und trockner, was meine Krankheit und die Verschlechterung meines Gesundheitszustandes mehr und mehr befeuert. Nicht nur ich spüre die Erwärmung, sondern auch ihr Landschaftsbeherrschenden selbst. Der weniger werdende Niederschlag macht die Grundwasserförderung für euch und für eure verschiedenen Lebenszweige in den Wärmemonaten umso wichtiger.

Ein katastrophaler Kreislauf, der mir meine wie auch die der mich Bewohnenden so wichtige Lebensgrundlage von Tag zu Tag weiter entzieht. Doch ich kann mich dagegen nicht wehren, ich brauche Hilfe. Die sich verändernden Jahreszeiten fördern eine negative Entwicklung meines Krankheitsverlaufes. Während mich einst lange Winter mit bitterer Kälte und Schneefall zum Spielfeld für eure Wintersportarten machten, setzen nun vermehrt frühere Wärmephasen ein. Die damit einhergehende Beförderung der Verdunstung wirkte sich besonders in den Dürrejahren 2018, 2019 und 2020 negativ auf mich aus.

Die Pflanzen, die auf meinen Rändern wachsen, sind wiederum Teil eines verheerenden und zerstörenden Krankheitskreislaufes. Sie sind es, die in den früher kommenden und länger anhaltenden Wärmephasen mein Wasser noch mehr benötigen. Durch die verlängerten Vegetationsperioden und die länger anhaltenden Spitzentemperaturen verdunsten auch sie zunehmend meine Lebensgrundlage, um selbst zu überleben.

Einen besonders hohen Wasserbedarf haben die großen Weiden, die mittlerweile an vielen Stellen meine Umgebung zieren. Doch einmal gewachsen, dürfen Sträucher und Bäume nicht mehr ohne Weiteres weichen. Sie werden von euren Behörden und Naturschutzverbänden besonders geschützt, während sich dadurch mein Gesundheitszustand zunehmend verschlechtert. Ich scheine euch deutlich weniger wert zu sein. Als ihr jedoch in mir badetet, meine Freunde mit euren langen Waffen und Netzen angeltet, auf mir im Winter mit euren Kufen gefahren seid, war ich euer bester Freund. Seitdem ich krank bin, kümmern sich nur noch die wenigsten von euch um mich.

Silberreiher

Meine Krankheit wird euch Gelegenheitsbewundernde nach und nach bewusst. Es ist die nachweisliche Erderwärmung, die mir zusetzt, mich nicht mehr atmen lässt und meine Lebensgrundlage nach und nach entzieht, bis ich ableben werde. Wir ihr es mittlerweile selbst herausgefunden habt und wisst, ist es die menschengemachte Erwärmung, die euch zunehmend in die Verantwortung nimmt, um mich, der lange vor euch hier war, an sich als auch als wichtige Lebensgrundlage für meine Freunde zu erhalten. Oder ist euch ein Leben in einer trockenen und veränderten Welt lieber? Ihr flüchtet euch doch so gern vor Verantwortung. Warme Tage, die mich zum Schwitzen bringen, verbringt ihr in gekühlten Räumen und wartet bis die Temperatur wieder sinkt oder senkt diese in eurer Umgebung selbst mithilfe erfundener Maschinen. Könnt ihr eure Maschinen nicht auch für mich einsetzen? Einfach meine Umgebungstemperatur senken?

Ich habe mich damit abgefunden, dass ihr nichts unternehmen werdet. Ich werde aufgrund meiner ohnehin nicht großartigen Größe dem Tode weiter entgegengehen, während sich Veränderungen bei meinen größeren Verwandten lediglich erst in wenigen Zentimetern zeigen. Einige Verwandte von mir sind bereits gestorben oder stehen dem Tod noch näher gegenüber. Sie und ich sind es, die euch auf eine Veränderung aufmerksam machen, die auch meinen größeren Verwandten blüht, wenn ihr euch nicht ändert und anfangt, auch mit uns die schwierigen Tage zu bestreiten und euch nicht nur die positiven Seiten unserer Existenz zu Nutze macht. Meine Chancen auf eine Heilung hingegen schwinden, da ich fortgeschritten krank bin.

Schon bald werde ich womöglich nicht mehr ein Teil meiner Familie sein, die ihr kategorisiert habt. Für euch waren wir Bestandteil des 66-Seen-Wanderweges. Eine touristische Verbindung, die ihr Beherrschenden erfandet, um euch uns scheinbaren Schönheitskonstanten der Natur zu widmen und uns zu bestaunen. Doch meine Familie schrumpft aufgrund eurer einzigen Nachhaltigkeit - eurer nachhaltigen Ignoranz. Bei meinen Verwandten beginnen die Folgen der Krankheit erst zunehmend sichtbar zu werden. Dies gibt euch den Hinweis auf eine ablaufende Zeit. Die ihr nutzen müsst, um endlich zu handeln.

Es sind langsame Prozesse, die uns zusetzen und sich beschleunigen, je näher das Ende rückt. Unklar erscheint hingegen, ob die Folgen meiner und unserer Krankheit lediglich verkleinert werden können oder ob sogar die Möglichkeit besteht, der Krankheit entgegenzuwirken, sie im besten Falle zu besiegen, um meine Gefährten und mich zu retten und uns wieder zur alten Größe erstarken zu lassen.

Was dringend notwendig erscheint, ist jedoch grundsätzlich ein aktives Handeln von euch Lebewesen, die für meine und die meine Verwandten bedrohende Krankheit verantwortlich seid. Was ich und meine Angehörigen benötigen, ist eine aktive Hilfe und nicht das Gelegenheitsbewundern einer scheinbaren Konstante. Denn ich als euer Begleiter bin längst nicht mehr ein stilles Betrachtungs- und Fotomotiv, ich schreie nach Hilfe. Nach EURER Hilfe. Und ich werde zunehmend LAUTER schreien. Mit mir schreien auch die mich Bewohnenden, deren Stimmen jedoch bereits nach und nach verstummen ... Fangt an, uns wahrzunehmen, übersetzt euch unsere Stimmen oder was muss noch geschehen, bis ihr anfangt, uns zu verstehen und uns zu helfen?

Der Fotofilm zeigt wie sich der See durch die Zeiten verändert hat. Das erste Bild der Folge wurde um 1930 aufgenommen, das letzte 2021.

Beitrag 3

Probebohrung in die Hölle

von Alena Naima Knüppel

»es schien mir, als wenn alle Menschen um mich her in der bejammernswürdigsten Unwissenheit leben, und dass alle ebenso denken und empfinden würden, wie ich, wenn ihnen dieses Gefühl ihres Elends nur ein einziges Mal in ihrer Seele aufginge.«1
Comic

Inspiriert vom Panel 8 „Die Petromoderne(n) – eine Retrospektive“ mit den Kulturwissenschaftlern Alexander Klose und Benjamin Steininger habe ich mich an einer Karikatur versucht. Eingestiegen sind die beiden mit Dantes Vorstellung der neun Kreise der Hölle. Sie interpretierten Dantes literarische Höllenvision als Schichtmodell der Erde, lange bevor die Wissenschaft dasselbe zu träumen wagte.

Der Titel des Festivals „Planet schreibt zurück!“ wirft jetzt die Frage auf, wie man überhaupt so schreiben kann, dass der Planet antwortet?

Nach Klose und Steininger könnte man „seismisches Wissen“ in diesem Sinne interpretieren: Vibrationsdruck sendet Signale in die Erde und der Planet antwortet, indem er die Signale zurücksendet und je nach Beschaffenheit unterschiedlich reflektiert. Durch die Wellensignale entsteht eine Vorstellung von der ‚Unterwelt’, allerdings nur als Hypothese. Die Antwort muss von Geophonen aufgefangen werden, der ‚Briefverkehr’ mit der Erde ist also hochtechnologisch. Dieses Wissen wird unter anderem Ölkonzernen zur Verfügung gestellt, die es ihrerseits dazu verwenden Hypothesen aufzustellen, wo Öl zu finden ist.

Meine Karikatur stellt nun folgendes dar: Angesichts der Klimakrise scheint mir ein derart imaginierter Briefverkehr, als bohre man gradewegs ein Loch in die Hölle.

  1. Tieck: Der Runenberg

Beitrag 4

Sprechfuge zur Klimakrise

von Socha Amberger

Gesprochener Text:
1. Waldbrand, Waldabholzung
2. Regenflut
3. Hitze, Hitze, solche Hitze
4. Wir schauen zu und tun nichts